Schlagwort: Ägypten

  • Studieren in Zeiten der ägyptischen Revolution

    Vor einigen Monaten interviewte ich die ägyptische Masterstudentin Sarah Hani für diese Webseite. Sie erzählte mir über das Studium in Ägypten, die Gründe ihrer Studienwahl und ermutigte deutsche Studenten, einen Austausch in ihrem Land zu machen. Seitdem ist in Ägypten viel passiert. Ich habe sie daher um ein erneutes Interview gebeten. Anders als normalerweise auf dieser Seite stehen Fragen nach dem Studium und der Studienwahl nicht im Vordergrund, sondern Sarahs persönliche Ansichten, Erfahrungen und Erwartungen im Zusammenhang mit der Revolution.

    Sarah Hani
    Sarah Hani

    Sarah, du bist Ägypterin. Was sind deine Gedanken und Gefühle hinsichtlich der Revolution?

    Wie die meisten Ägypter habe ich nie in meinem Leben so intensive Gefühle erlebt, wie in den vergangenen Wochen. Wut wegen all der getöteten Menschen, Angst wegen all den Verbrechern, die furchtbare Gewaltakte begangen haben, Besorgnis, wie lange es dauern würde, bis Mubarak endlich zurück treten würde. Aber nach dem 11. Februar haben wir alle – vielleicht zum ersten Mal überhaupt – eine Sache gefühlt: Stolz. Stolz auf all die jungen Leute, die ihr Engagement aufrecht erhalten haben und keine faulen Kompromisse eingegangen sein. Stolz darauf, wie sie innerhalb von 18 Tagen ein autokratisches Regime zu Fall gebracht haben, das uns seit drei Jahrzehnten regiert hat. Dieses Ziel erreicht zu haben, ist ein Grund zu feiern.

    Du studierst in Kairo, dem Herzen der Revolution. Haben du und deine Freunde an den Protesten teilgenommen? Was kannst du uns darüber sagen?

    Leider kann ich das, was die Ägypter erreicht haben, nicht mir selbst zuschreiben. Leider war ich nicht in Ägypten, als die Revolution begann, sondern besuchte meine Eltern im Ausland. Sehr viele meiner Freunde waren allerdings über den gesamten Zeitraum hinweg auf dem Tahir Platz, meist mehr als 12 Stunden täglich. Sie haben protestiert und medizinisch wie logistisch geholfen.

    Ich kann also keine eigenen Geschichten erzählen, aber meine Freunde sagten mir, dass das Gefühl von Solidarität und Gemeinschaft außerordentlich war. Alle hoben hervor, wie insbesondere Frauen aktiv am Protest teilnahmen. Meine Freunde waren allerdings voller Wut auf das Regime, das sie mit Tränengas und Gummigeschossen traktierte. Am schlimmsten waren die Verbrecher auf ihren Kamelen und Pferden, die über unschuldige Menschen einfach hinweg ritten. Das war furchtbar.

    Wie stehen deine Kommilitonen zur Revolution? Sind alle froh oder ist es umstritten? Und welche Ängste gibt es?

    Die Leute sind zu 95 Prozent glücklich, würde ich sagen. Einige Leute haben Angst vor dem, was kommt und glauben, dass es unter Mubarak nicht schlecht war. Für die anderen von uns, vor allem meine Freunde und andere junge Leute, ist es großartig. Wir glauben fest an diese Übergangsphase. Die Armee hat die Revolution großartig unterstützt und hat dadurch für uns alle viel Glaubwürdigkeit gewonnen. Die Armee macht ihren Job recht gut, wenn auch langsam.

    Zum ersten Mal hat meine Generation realisiert, wie wichtig uns unser Land ist. Wir möchten eine bessere Nation aufbauen. Wir haben unsere Stimme erhoben und werden nicht mehr schweigen. Wir wissen, dass nun ein Haufen Arbeit zu tun ist und wir dafür sorgen müssen, dass keine sektiererischen oder parasitären Gruppen die Situation ausnutzen. Die jetzt kommende Phase ist eine große Herausforderung und wir müssen unsere Augen offen halten.

    Du bist koptische Christin. Einige Familienmitglieder von dir waren Zeugen des furchtbaren Terrorakts auf Christen in Alexandria an Neujahr. Hat die Revolution Einfluss auf die Situation der Kopten? Wird es Verbesserungen geben? Oder überwiegen die Ängste?

    Ägyptische Christen haben im vergangenen Jahr einige furchtbare Dinge erleben müssen. Seit dem Bombenanschlag haben sich unsere Ängste natürlich verdoppelt. Wir hatten Ängste als Bürger unter einem korrupten Regime und nun auch Ängste als Kopten. Allerdings war die Anteilnahme der gesamten Bevölkerung nach den Anschlägen riesig, was für uns alle sehr tröstend war. Ich meine, dass die korrumpierte Ordnung, unter der wir lebten, diese furchtbaren Aktionen erst ermöglicht haben. In der Revolution haben Moslems und Christen gemeinsam für ein besseres Ägypten gekämpft. Wir haben gemerkt, dass es etwas größeres und wichtigeres gibt als die Auseinandersetzung untereinander.

    Ich allerdings muss zugeben, dass wir Angst vor einem politischen Machtgewinn der Moslembruderschaft haben. Solange aber die ägyptischen Intellektuellen am Aufbau der neuen Regierung mitwirken, werden religiöse Gruppen nur wenig Platz haben. Wir müssen unsere Stimme weiter erheben. Denn sobald wir ruhig werden, können Gruppen wie diese die Lücke füllen.

    Ist Ägypten nun wieder ein sicherer Ort für Westler? Würdest du deutschen Studenten derzeit raten, für einen Austausch nach Ägypten zu kommen?

    Ob es derzeit für Westler sicher ist, nach Ägypten zu kommen und hier zu studieren? Nun, ich glaube, es braucht etwas Zeit, bis sich der Staub gelegt hat und das Leben wieder normal verläuft. Wir müssen dafür sorgen, dass alles sicher ist, bevor wir sagen „Okay Leute, kommt und studiert in Ägypten“. Es wird einige radikale Reformen gehen und es wird ein langer Prozess werden, der nicht unbedingt komplett glatt und friedlich ablaufen wird. Ich glaube, dass wir erst nach der Präsidentschaftswahl im September werden sagen können, dass es 100 Prozent sicher für Ausländer ist, in Ägypten zu studieren.

  • Studieren in Ägypten

    Sarah Hani studiert derzeit einen Master in Euro-Mediterranean Studies an der staatlichen Cairo University. Sie gehört zur Minderheit der orthodoxen Christen in Ägypten. In Zukunft möchte Sie gerne als Journalistin arbeiten. Sie arbeitet nebenbei als Assistentin an der Universität, ein Job, der nur wenig Geld einbringt.

    Name Sarah Hani
    Alter 23 Jahre
    Hochschule Cairo University
    Studiengang Master of Arts in Euro-Mediterranean Studies
    Studienjahr Fünftes Studienjahr

    Sarah macht einen Master an der Cairo University

    Sebastian: Warum hast du Dich für den Master of Arts in Euro-Mediterranean Studies an der Cairo University entschieden?

    Sarah: Ich habe mich für einen politikwissenschaftlichen Master entschieden, weil ich mittelfristig als Journalistin arbeiten möchte. Meinen Bachelor habe ich in Mass Communication gemacht, was mir bei dieser Berufswahl hoffentlich helfen wird. Für den Master in Euro-Mediterranean Studies habe ich mich aufgrund meines hohen Interesses an Internationalen Beziehungen entschieden. Zur Cairo University gab es für mich keine Alternative, da keine andere Hochschule mein Fach als Hauptfach anbietet.

    Was gefällt Dir an Deinem Studiengang?

    Ich habe mich schon immer stark mit der US-amerikanischen Innen- und Außenpolitik beschäftigt, allerdings weniger mit der europäischen. Durch mein Masterprogramm erhalte ich einen neuen Blickwinkel auf internationale Beziehungen, vor allem in Bezug auf die Beziehungen zwischen der EU und den Mittelmeerstaaten.

    Außerdem gefällt mir, dass das Programm auf Englisch ist, was bei einem Studium in Ägypten selten ist.

    Was gefällt Dir an Deinem Studiengang weniger?

    Ich hatte erwartet, dass mein Masterprogramm analytischer und diskursiver geprägt sei. Ich hatte mir erhofft, dass wir wissenschaftliche Papers lesen, diskutieren und Seminare besuchen. Leider stellte sich heraus, dass im Master derselbe Ansatz gewählt wurde wie während meines Bachelors: Tägliche Vorlesungen, Klausuren am Ende des Semesters, Auswendiglernen. Dies stört mich an meinem Studiengang am meisten.

    Wie war das Aufnahmeverfahren für deinen Studiengang? Was musstest Du tun oder vorweisen?

    Der Bewerbungsprozess ist relativ einfach für Ägypter. Allerdings habe ich einen Bachelor von einer Privatuniversität, was den Prozess etwas verkompliziert hat. Nachdem ich mich mit meinem Abschlusszeugnis und allen anderen nötigen Dokumenten beworben hatte, musste ich über einen Monat auf eine Akkreditierung meines Bachelors durch den „Hohen Rat der Ägyptischen Universitäten“ warten. Mein Bachelor wurde recht spät anerkannt und zwar am ersten Unterrichtstag meines Masters.

    Zahlst du Studiengebühren? Wenn ja wieviel?

    Ja, für das Studium in Ägypten werden Studiengebühren verlangt. Das Programm dauert zwei Jahre, im ersten haben wir Unterricht, im zweiten schreiben wir die Masterarbeit. Das erste Jahr kostet mich LE 8.350 (etwa 1.050 Euro), die Masterarbeit dann etwa LE 1.000 (etwa 125 Euro). Ausländer zahlen höhere Gebühren.

    Wie finanzierst Du Dein Studium?

    Ich arbeite an einem Lehrstuhl an meiner alten Universität, das reicht allerdings nicht. Meine Eltern unterstützen mich daher.

    Wie viel Geld braucht ein normaler Student in deiner Stadt pro Monat fürs Leben?

    Für Ausländer ist ein Studium in Ägypten sehr günstig – vor allem in Vergleich zu Europa. Die Miete für eine Wohnung in Kairo liegt bei etwa LE 1.500 bis 2.000 (190 bis 250 Euro). Wenn man sich die Wohnung mit einem anderen Studenten teilt, die Miete sehr tragbar. Das Essen in Kairo ist ebenfalls nicht teuer. Wenn man es nicht übertreibt, kann man von etwa LE 1.000 (125 Euro) überleben. Was die Studiengebühren angeht, kann ich nicht für andere Universitäten und Programme sprechen. Mein Programm würde Ausländer knapp 5.000 Euro Studiengebühren für die beiden Jahre kosten.

    Unterm Strich kann man von 700 Euro im Monat in Kairo gut leben – inklusive Studiengebühren.

    Was möchtest du nach Deinem Studium beruflich tun?

    Langfristig sehe ich mich als politische Journalistin. In den nächsten Jahren möchte ich allerdings zunächst forschend tätig sein, vor allem in der sozio-ökonomischen und der sozio-politischen Sphäre.

    Würdest Du einem deutschen Studenten empfehlen, in Ägypten an der Cairo University zu studieren? Warum?

    Das hängt vom Studienschwerpunkt ab. Wenn ein deutscher Student Arabisch oder Geschichte studieren möchte, würde ich Cairo University definitiv empfehlen, da sie eine der ältesten, größten und anerkanntesten akademischen Institutionen in der Region ist. In diesem Bereich könnten deutsche Studenten stark von der Universität profitieren und die Vorteile gegenüber den Unannehmlichkeiten überwiegen. Allerdings ist die Universität sehr ineffizient, sowohl akademisch als auch organisatorisch. In anderen Feldern wäre ein Studium an der Cairo University kein großer Gewinn für einen deutschen Studenten.

    Möchtest du noch etwas hinzufügen?

    Ich empfehle ausländischen Studenten, für einen Austausch oder einen Sprachkurs nach Kairo zu kommen, jedoch nicht, einen BA oder einen MA zu machen. Für einige Monate kann ein Studium in Kairo eine sehr spannende, interessante und wertvolle Erfahrung sein.